Körpersprache
Zurück im Ashram, nach einer Woche Freiheit, die mir zeigte, wo ich mich selbst in Gefangenschaft und Abhängigkeit befand. Kaffee und Zigaretten, Süßigkeiten und Völlerei. Nach 4 Wochen Ashram wirkte jede Mahlzeit wie eine Verführung. Ich konnte mich nicht satt essen an Thali, Dhal, Palak, Momos, bei denen ich immer an das Buch von Michael Ende denken musste, Gewürzen, Naan und Reis, an Kuchen und Eis. Schon in Goa spürte ich, das es mir zurück im Ashram schwerer fallen würde auf all das zu verzichten als bei meiner ersten Ankunft.
Die Energien waren spürbar anders, als wir das Ashram betraten. Energien, die die neue Gruppe ausstrahlten und die fehlenden Mitglieder der alten Gruppe bei ihrer Abreise mitgenommen hatten. Wir alle zogen in einen neuen Flügel um und bekamen neue Zimmergesellschaften. Über dem neuen Kurs stand eine andere Überschrift. Zum Glück blieb unser Lehrer der Gleiche. Viel Neues für einen Menschen, der immer wieder mit Veränderungen gehadert hatte.
Schon am Abend unserer Rückkehr aus Goa fror ich überraschend stark und all die Schichten an Kleidung wollten nichts daran ändern. Auch Nachts fror ich. So fühlten sich also um die 15 Grad an, die hier nun des Nachts herrschten. Bei unserer Abreise hatte die Natur farbenfroh geblüht, in einer Woche Abwesenheit hatten die Blumen und Bäume sichtbar an Blüten verloren. Auf Frühling schien hier Herbst und Winter in einer Jahreszeit zu folgen.
Am nächsten Tag fror ich weiter und hüllte mich in Decken und Jacken während ich spürte, das meine Körpertemperatur stieg. Nicht übermäßig hoch, nur spürbar hüllte sie mich in Matsch und Müdigkeit. Ich schlief den ganzen Tag unter meinen Decken. Auch am nächsten Tag, als der Kurs begann, hielt sich die erhöhte Temperatur wacker. Am Abend sollte ich eine Meditation anleiten, um die Gruppe an diesem neuen Ort zu erden und auf einen schönen Neubeginn einzustimmen, doch ich konnte sie nicht geben, so müde war ich. Tagsüber hatte ich alle Yogaübungen mitgemacht, so wie es sich für ein gutes Mädchen gehört. Wir verschoben die Meditation um zwei Tage. Dazwischen machte ich erneut alle Yogaübungen mit und redete mir ein, dass die Übungen alles aus mir heraus befördern würden, was meine Temperatur steigen ließ, anstatt mich zu fragen, was es mit diesem guten Mädchen auf sich hatte, das der Meinung war alles mitmachen zu müssen anstatt das Bett zu wählen.
Am nächsten Tag gesellte sich zur erhöhten Temperatur Durchfall und die Toilette wurde zu meinem besten Freund. Endlich entschied ich mich fürs Bett und gegen die Yogamatte und sagte auch die Meditation für den Abend erneut ab. Ich spürte Unbehagen dabei und war gleichzeitig zu müde, um tiefer in dieses Gefühl und diese Gedanken einzutauchen. Am Nachmittag stieg meine Temperatur weiter und ich hatte das Gefühl, das alles aus mir heraus gebrannt wurde, was auch immer sich in mir bewegte. Und dann, wie mit einem Knopfdruck ausgeschaltet, war es vorbei und ich wusste, dass das Fieber nicht zurück kehren würde. Auch meinem Darm ging es spürbar besser und so wiegte ich mich in dem Gefühl, das es ab hier nur noch bergauf gehen würde.
Also ging ich am nächsten Morgen wieder in meine Yogaklasse. Anstatt die Yogaübungen mitzumachen, lag ich im Raum auf meiner Yogamatte und schlief, auch wenn ich spürte, das die Energie, die die letzten Tagen aus mir heraus gesaugt wurde, langsam wieder zurück kehrte. Und so beschloss ich den ganzen Tag am Unterricht teilzunehmen, auch wenn die Kopfschmerzen, die sich pulsierend über meine linke Gesichtshälfte bewegten, eine andere Sprache sprachen. Am Abend gab ich die Meditation auch wenn mein Darm begonnen hatte zu krampfen und der Durchfall zurück gekehrt war.
Die Krämpfe blieben und trotzdem ging ich in jede Unterrichtsstunde. Die Yogastunden nahm ich weiterhin liegend wahr, spürte aber, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, dort zu liegen, während alle anderen um mich herum schnauften und ächzten. Ich spürte meine eigene Erwartung an mich und Schuld sie nicht zu erfüllen. Ich spürte, das ich leisten muss, damit die anderen nicht schlecht über mich denken. Ich spürte Ungeduld mit mir und meinem Körper, weil ich das Gefühl hatte, dass ich nicht nur den Einstieg in die Gruppe verpassen würde, sondern auch ganz viel an Theorie und Praxis. Mein Verstand redete mir ein, das ich all das nie nachholen würde können und so stieg der Druck in mir mit jedem Tag mehr an, an dem ich nicht leisten konnte wie mein Verstand das wollte.
Am darauffolgenden Morgen kam ich gar nicht mehr von der Toilette runter. Immerhin war das Fieber nicht zurück gekehrt. Frustration machte sich in mir breit. Anstatt zur Yogastunde zu gehen, ging ich in mich, um erneut zu ergründen, welche Gedanken und Gefühle in den letzten Tagen in mir aufgestiegen waren und blieb bei der Disziplin hängen, deren Zusammenhang zu Fieber und Durchfall ich noch nicht verstanden hatte. Disziplin wollte ich hier von Tag eins an zeigen, wo es mir in meinem Leben immer wieder schwer gefallen war am Ball zu bleiben. Fast eine Woche war vergangen und ich hatte kaum etwas von meinen Vorhaben umgesetzt. Stattdessen musste ich jeden Tag aufs Neue zu mir selbst sagen: „Vielleicht morgen.“ und das Fragezeichen an diesem Satz wurde mit jedem Tag deutlicher. Die Liste, wo ich im Ashram mehr Disziplin etablieren wollte, war lang, in der Hoffnung ich würde die Disziplin mit in meinen Alltag außerhalb des Ashrams nehmen können. Vielleicht war sie zu lang? Es dauerte einen Moment bis ich begriff, dass es wie ein auf die Probe stellen war, wie es sich anfühlt, wenn ich diszipliniert sein will, aber nicht so kann, wie ich will? Vielleicht hilft mir die Erinnerung an dieses Gefühl dabei nach dem Ashram Disziplin in mein Leben einzuladen, wenn meine Motivation sich eine Auszeit nimmt. Vielleicht hilft es mir sanfter mit mir zu sein, wenn ich zu hohe Erwartungen an mich habe. Vielleicht hilft es mir dabei mich schneller daran zu erinnern zu vertrauen, denn das Leben kennt keine Fehler, alles geschieht aus einem Grund.





